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{TITEL}
Kongress 2003
{UNTERTITEL}
Rede des Referenten für Öffentlichkeitsarbeit
{CONTENT}
Im Zuge der Berichte (TOP 8) hat der Referent für Öffentlichkeitsarbeit folgende Rede gehalten:
Brauchen wir den NSV noch?
Wir brauchen einen neuen NSV - oder gar keinen!
Präambel
Der NSV ist in einem erbärmlichen Zustand, vergleichbar mit dem des DSB. Er
arbeitet eher zufällig auf der Basis individueller Anstrengungen, nicht aber als
Organisation und nicht mit einem Blick über das Tagesgeschäft hinaus. Wir
kranken an einer ganzen Reihe von Schwachstellen. Von mehreren Schachfreunde
habe ich als Signal empfangen, daß sie selbst keine Versuche unternehmen,
Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten, weil sie nicht mehr daran glauben, daß
dies einen Sinn habe. Es höre niemand zu, und es sei auch niemand bereit, die
Meinung anderer zu akzeptieren. Das ist ein ernstes Signal. Der NSV ist dabei,
seine Aufgaben aus dem Blickfeld zu verlieren und sich selbst überflüssig zu
machen.
Wir können dies ändern. Hier, auf diesem Kongreß. Wir können den NSV zu einer
Organisation machen, die Leistungen für die Schachvereine in Niedersachen
erbringt, von diesen gebraucht wird und durch die Mitarbeit aller Schachfreunde
lebt.
Aus meiner Sicht brauchen wir für den NSV eine Änderung der Ziele, eine Änderung
der Struktur, und eine Änderung der Arbeitsweise.
Ich will versuchen, eine Reihe von Schwachstellen und einige neue strategische
Ziele für den Verband zu benennen und anschließend einige Vorschläge zu machen.
1. Änderung des Ziels des NSV
Die Satzung definiert den NSV folgendermaßen: "2.1 Der Verband erblickt
seine Aufgabe in der Pflege und Förderung des Schachspiels als einer sportlichen
Disziplin, die in besonderem Maße geeignet ist, der geistigen und
charakterlichen Erziehung zu dienen. Entsprechend seiner Aufgabe ist der Verband
eine kulturelle, unpolitische Vereinigung."
Dies ist ungenügend, unpräzise und zum Teil falsch.
1. "Pflege und Förderung des Schachspiels" ist zu allgemein gefaßt, um dem NSV
eine sinnvolle Arbeitsgrundlage zu bieten. Hier muß stehen, was der NSV wirklich
tun soll, will und kann. Und zwar so konkret, daß sein Alltagsgeschäft daraus
ableitbar ist. Sonst ist der Rest beliebig.
2. Eine "kulturelle" Vereinigung zu sein, bedeutet schlicht nichts - alles ist
Teil der Kultur.
3. Es gibt keine unpolitischen Vereinigungen. Zum einen betreiben wir selbst
Sportpolitik, zum anderen sind wir eingebunden in die politische Landschaft des
Landes und außerhalb nicht denkbar - oder wir müßten sonst leugnen,
demokratischen Grundprinzipien unterworfen zu sein. Durch die Arbeit Aussiedlern
z.B. mit betreiben wir Integrationspolitik - eine wichtige Aufgabe übrigens.
Usw.
Daraus folgt: wir müssen die Satzung, beginnend beim Punkt 2.1. so ändern. daß
sie unsere Arbeitsaufgaben sinnvoll beschreibt.
2. Die Zusammenarbeit zwischen Präsident, Vorstand und weiteren
Organisationsebenen funktioniert nicht. Rechte und Pflichten dieser
Strukturen untereinander sind völlig ungeklärt. De facto bestimmt momentan der
Präsident allein das Handeln des Verbande, handelt er selbst nicht, geschieht in
der Regel gar nichts. Die Verantwortung der Vorstandsmitglieder für den NSV ist
ungeklärt, weder Rechte noch Pflichten sind genannt. Wir benötigen für jedes
Referat ein Abstecken des Rahmens eigenverantwortlichen Handelns innerhalb eines
Arbeitsbereiches, eine Definition seiner Arbeitsziele, an denen die Arbeit
gemessen werden kann. Wir müssen eine Regelung für den Fall finden, daß im
Vorstand des NSV über Entscheidungen abgestimmt werden muß. Welche Mehrheit
entscheidet, welche Stimmkraft hat das Amt des Präsidenten? Der Aufgabenbereich
des Präsidiums, also des Dreiergremiums bestehend aus Präsident und 2
Vizepräsidenten, ist völlig unklar. Ähnliches gilt für die einzelnen Referate.
Deren Arbeitsbereiche und vor allem ihre Zusammenarbeit sind nicht geklärt und
funktioniert momentan auf der Basis persönlicher Entscheidungen, wenn sie denn
funktioniert.
Wir müssen verhindern, daß Vorstandsposten von Schachfreunden besetzt werden,
die nichts tun. Sicher ist ein Vorstandsposten auch eine Ehre - viel mehr aber
noch eine Verpflichtung, für andere tätig zu sein. Der Maßstab der Bewertung der
Leistung einzelner muß werden: was hat er oder sie für die Schachfreunde im Land
getan. Die Teilnahme an Sitzungen ist damit nicht gemeint.
3. Wir benötigen eine neue Kultur des Spielbetriebes der Mannschaften.
Wir können nicht akzeptieren, daß neuerdings immer häufiger Gerichte die
Meisterschaften auf allen Ebenen, auch in den Bezirken - denn auch hier hat der
NSV eine Verantwortung - entscheiden. Es ist unerträglich, daß immer mehr
Vereine den Weg zu einem ordentlichen Gericht beschreiten, um Streitfälle zu
klären. Aber nicht etwa den Vereinen darf der Vorwurf gemacht werden, daß sie
ihre Rechtsauffassung einklagen wollen - das ist ihr gutes Recht in einem
Rechtsstaat -, sondern dem NSV-Vorstand muß der Vorwurf gemacht werden, daß es
ihm nicht gelingt, solche Probleme im Vorfeld zu klären und zwischen den
Vereinen zu moderieren.
4. Gemeinsam mit der NSJ sollten wir eine Schulschachinitiative starten.
Hier liegt das wichtigste Nachwuchsreservoir für den NSV, das wir bislang - auch
dank der "tatkräftigen" Mithilfe unseres Schulschachreferenten - fast völlig
vernachlässigten. Lediglich wenige Vereine haben hier bereit ihre Chancen und
ihre Verantwortung erkannt. Aber es geht hier nicht nur simpel darum, junge
Mitglieder für den NSV zu gewinnen. Im Bereich des Schulschachs kann unsere
Sportart wichtige Impulse für die Erziehung und Charakterbildung junger
Menschen, wichtige Stimuli für die Entwicklung ihrer intellektuellen Fähigkeiten
liefern und insgesamt die Sozialisation der Kinder auf nicht unwichtige Weise
beeinflussen. Ich halte es für ein erstrebenswertes - wenn auch langfristiges -
Ziel, Schach als Unterrichtsfach in die Schule einzuführen. Den Schachvereinen
in Niedersachsen könnten hier neue Aufgaben zuwachsen, und der NSV wäre der
geeignete Koordinator einer solchen Entwicklung.
5. Wir sollten unsere Landesmeisterschaften wieder als Höhepunkt des
Verbandslebens wertschätzen und alle Teile des Verbandes einbeziehen - von
der Jugend bis zu den Senioren. Das bedeutet auch ein größeres finanzielles
Engagement des NSV. Momentan erleben wir die Landesmeisterschaften nur als ein
Turnier neben vielen.
6. In diesem Sinne sollten wir alle Bereiche des niedersächsischen Schach
zusammenführen: Jugend, Senioren, Damen, Fernschachspieler, Freizeitspieler;
Problemkomponisten, Schulschach - wir sind oder müssen werden - ein Verband, der
aus dieser Vielfalt lebt. Das heißt: der NSV muß zum Leistungserbringer werden,
der seinen Mitgliedern nützt und nicht nur deren Daten verwaltet.
[Punkte 7 und 8 herausgenommen, da sie in diesem Zusammenhang nicht wichtig
sind. (Spittel)]
9. Wir trennen Breiten - und Leistungssport, obwohl wir beides zusammenführen
sollten. Der Breitensportbereich kann nur die Basis des Leistungssportes
sein; wir brauchen Anstrengungen an beiden Enden des Spielstärkespektrums.
Darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen, daß die sogenannte "Basis" mehr als
95 % unserer Mitglieder ausmachen. Hier muß Aus- und Weiterbildung und Förderung
ansetzten. Dennoch unternimmt der NSV momentan nichts für die schachliche
Förderung der "Wald- und Wiesenspieler", wie gelegentlich alles unterhalb des
Leistungskaders bezeichnet wird. Hier aber liegt unsere Basis und auch eine
große Aufgabe - ich meine die langfristige Förderung des allgemeinen
Leistungsniveaus, die uns später auch wieder in einer besseren
Nachwuchsförderung zugute kommen wird und gleichzeitig die beste Entwicklung
auch des Leistungsbereiches ist.
10. Wir brauchen eine Werbekampagne für das Schach in Niedersachen.
Schach muß deutlich attraktiver erscheinen, Spaß machen und einen besonderen
Wert bilden. In dieser Hinsicht hat der NSV bislang eher negative Signale
ausgesandt. Das ist zunächst eine koordinierende Aufgabe, denn die Hauptlast
einer solchen Initiative liegt sicher bei den Vereinen, aber der NSV muß sicher
auch eine eigene Position in diesem Arbeitsfeld einnehmen.
11. Der NSV muß zum Ansprechpartner für Probleme der Vereine werden; er
kann diese Aufgabe nicht an die Bezirke verweisen (die dieser Aufgabe meist auch
nicht gerecht werden). Wir sind für die Vereine da und dürfen uns nicht nur
darauf beschränken, sie in Streitfällen zu reglementieren.
12. Der NSV muß (wieder) eine wichtige Rolle im deutschen Schach spielen,
also über die Landesgrenzen hinaus im DSB aktiv werden. Momentan spielt er gar
so gut wie keine Rolle, obwohl der NSV mit gut 6.000 Mitgliedern zu den
stärkeren Landesverbänden gehört. Unser Selbstverständnis muß sein, das
Schachleben in Deutschland mitzubestimmen und in eine gesunde Konkurrenz zu den
starken süddeutschen Verbänden zu treten. Dazu müssen neue, interessante und
publikumswirksame Veranstaltungen her, aber auch Impulse aus dem oberen Teil der
Leistungspyramide entwickelt werden. Wir sollten das nicht tun, weil wir nur
mehr Anerkennung bekommen wollen - eine solche verstärkte Rolle im deutschen
Schach wird der Qualität des NSV selbst zugute kommen.
13. Der NSV verkauft sich zur Zeit deutlich unter Wert. Wir verfügen über
einige starke Spieler (nach GM Gutman - den wir aber auch nicht gut präsentieren
und der sich selbst nicht gut präsentiert) -, wir haben Trainer (die wir nicht
unterstützen) wir haben spielstarke Damen (die wir aber nicht zu den Deutschen
Meisterschaften melden), wir haben hochkarätige Funktionäre (Michael Langer ist
im DSB-Vorstand und Heinz-Jürgen Gieseke ist der neugewählte Vize-Präsident des
DSB), wir haben sehr aktive Turnierveranstalter (ich denke an Benjamin Lönhardt,
der im Jugendbereich mit seiner "Jugendserie" mittlerweile beinahe
niederachsenweit Jugendturniere initiiert bzw. selbst ausrichtet), die Arbeit
niedersächsischer Senioren hat in ganz Deutschland Anerkennung gefunden (aber
der NSV läßt es zu, daß einige Funktionäre ein Ehrenmitglied und Träger der
Goldenen Ehrennadel unseres Verbands - ich spreche von Klaus Gohde - öffentlich
vor den Kopf stoßen. Hier wäre es die Pflicht eines NSV-Präsidenten gewesen,
sich vor ihn zustellen und deutlich zu machen, daß hier grundlegende Regeln des
Anstandes verletzt werden - die wir in Niedersachsen noch kennen)... Der NSV
sollte sich vor diese Aktivisten spannen, ihnen helfen und sie anspornen und sei
es "nur" durch Anerkennung.
Ein nicht unwichtiges Merkmal der schlechten Präsentation des NSV ist die Wahl
unseres offiziellen Verkündigungsorgan, der Europa-Rochade, der wohl
schlechtesten Schachzeitschrift in Europa. Unseriöser kann man unsern Sport wohl
kaum präsentieren, denke ich jedenfalls immer wieder - bis zum Erscheinen der
nächsten Ausgabe. Das müssen wir uns wirklich nicht länger antun.
14. Der NSV muß die Arbeit der ehrenamtlich tätigen Schachfreunde auf allen
Ebenen stärker würdigen und unterstützen - sonst haben wir bald keine mehr -
oder eben nur noch Schachfreunde, denen Amt und Titel wichtiger sind, als die
Arbeit für den Verband. Wo bleicht die Ehrung unserer Turnierleiter,
Staffelleiter, Schiedsrichter...? Wo sind die Initiativen, um mehr Übungsleiter,
Schiedsrichter, Trainer und Jugendbetreuer zu gewinnen? Wo überhaupt bleibt die
große Anstrengung um unseren Nachwuchs?
15. Ich schlage vor, eine engere Kooperation mit dem Bremer Landesverband
einzugehen und parallel dazu solche wichtigen niedersächsischen Vereine wie
Delmenhorst und Syke wieder in den NSV einzubinden, mit deren Abwanderung in
Richtung Bremen der NSV deutlich an Spielstärke verloren hat.
Resümee:
Unser Aufgabe muß sein, einen lebendigen und arbeitsfähigen Verband zu
schaffen, der anspruchsvolle Ziele hat und sie konsequent verfolgt. Dies ist die
Aufgabe diese Kongresses. Ein anderes Gremium haben wir dafür nicht - und kein
wichtigeres. Hier sind die Vertreter der Bezirke und der Vereine versammelt, und
sie müssen die Politik des Verbandes bestimmen. Der gesamte Vorstand, aber auch
der Präsident des Verbandes sind lediglich gewählt, um den Willen des
Kongresses, also der demokratischen Mehrheit des NSV zu erfüllen. Ich erinnere
an diese einfache Wahrheit unserer Satzung, weil ich fürchte, sie ist in
Vergessenheit geraten.
Dr. Olaf R. Spittel, 20.9.2003